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„Man wird herausgefordert, man wird aber auch sehr beschenkt“

Nelli Persian koordiniert die Kontaktgruppenarbeit der Gefährdetenhilfe Scheideweg. In den Kontaktgruppen besuchen ehrenamtlich engagierte Christen Menschen in Gefängnissen. Nach dem Abitur kam Nelli zunächst für ein Jahr nach Scheideweg – und blieb dann mit der Arbeit verbunden. Hier berichtet sie von ihren Erfahrungen und über die ehrenamtliche Arbeit im Justizvollzug. Das Gespräch führte Achim Halfmann.

Achim Halfmann: Nelli, wie hast Du eigentlich den Scheideweg kennengelernt?

Nelli Persian: Ich habe zuerst die Gefährdetenhilfen Paderborn und Bad Eilsen kennengelernt und darüber habe ich vom Scheideweg erfahren. 

Es gibt also nicht nur eine Gefährdetenhilfe, es gibt mehrere?

Ja genau! Die Gefährdetenhilfe Scheideweg war sozusagen die erste und dadurch sind noch viele andere entstanden.

Was waren Deine ersten Erfahrungen hier am Scheideweg? Scheideweg ist ja nicht nur der Name des Vereins, sondern zugleich der Name eines Ortes.

Nach der Schule habe ich überlegt, was ich machen soll. Ich hatte andere Gefährdetenhilfen kennengelernt und war total begeistert, wie Gott Menschen verändern kann. Menschen, die aus einem kriminellen Hintergrund kommen, die aus dem Gefängnis kommen und die wirklich verwandelt worden sind. Es hat mich sehr begeistert, so dass ich gesagt habe: Ich möchte gerne schauen, wo ich meinen Teil mit einbringen kann. Weil ich von der Gefährdetenhilfe Scheideweg wusste, dass sie auch Frauen begleitet, bin ich nach meinem Abitur für ein Jahr nach Hückeswagen gekommen.

Ich kann mir vorstellen, das war ein ganz schöner Kulturschock – raus aus der Schule und rein in die Begegnung mit Menschen aus Kriminalität und Sucht?

Das war natürlich schon was anderes. Ich habe in einer Familie mitgewohnt – in einer Wohngemeinschaft – gemeinsam mit Frauen aus verschiedenen Lebensproblemen, da hieß es 24/ 7 Leben zu teilen. Und es war natürlich etwas anderes, nach dem Abitur arbeiten zu dürfen in den Zweckbetrieben, die wir haben. Es sind viele Freundschaften entstanden und es war schön, aber auch anstrengend!

Dein Einstieg war ein Freiwilliges Soziales Jahr. Du bist aber immer noch hier, es ist also irgendwie für Dich weitergegangen.

Anfangs – muss ich ehrlich sagen – konnte ich mir gar nicht vorstellen, länger zu bleiben als ein Jahr, weil so vieles anders war. Aber mit der Zeit wurde mir die Arbeit immer wichtiger, eben auch Frauen zu begleiten. Ich habe gemerkt: Da entsteht gerade eine Freundschaft, eine Beziehung, und das braucht halt seine Zeit. Wenn ich nach einem Jahr gehe, ist da wieder ein Abbruch, und es hat mich doch interessiert, was mit dem Menschen passiert. Da ich mich dann – wohl auf einer Silvesterfreizeit – entschieden, eine Ausbildung hier vor Ort zu machen – in einem unserer Zweckbetriebe eine Ausbildung zur Bürokauffrau. In der Zeit habe ich meinen Mann kennengelernt, der von hier kommt und sehr starke Wurzeln hier hat, und so bin ich hier geblieben. 

Inzwischen bist Du Mutter und Ihr seid eine durchaus größere Familie.

Genau, mittlerweile haben wir drei Kinder.

Du begleitest immer noch Frauen – jetzt im Gefängnis. Die JVA Köln ist eine Strafanstalt, in der es auch eine Frauenabteilung gibt. Wen trifft man da, wenn man nach Köln ins Gefängnis fährt und mit den Frauen dort redet?

Als ich angefangen habe, das war 2003, da war ich bei den jüngeren Frauen, die momentan nicht mehr da sind. Dort trafen wir Mädchen ab 14 Jahren. Heute haben wir die erwachsenen Frauen ab 21 Jahren und älter. Es sind Frauen aus verschiedenen Hintergründen. Bei vielen Frauen hat die Droge das Leben kaputt gemacht oder sie sind anderweitig kriminell geworden. Zahlreiche Frauen haben einen Migrationshintergrund. Es ist also wirklich eine bunt gefächerte Gruppe. Manchen sieht man an, dass sie vom Leben gezeichnet sind. Bei anderen denkt man: „Die hätte ich auch nebenan beim Bäcker treffen können“. Man trifft also auf ganz verschiedene Menschen. 

Du gehst nicht allein ins Gefängnis, sondern gemeinsam mit anderen in einer Kontaktgruppe. Kannst Du uns beschreiben, was eine Kontaktgruppe ist und wie so eine Begegnung im Gefängnis abläuft?

Wir sind eine Gruppe, die inhaftierten Frauen Kontakt zu Christen ermöglicht. Wir sind Christen aus den verschiedensten christlichen Gemeinden aus NRW und wir treffen uns zunächst vor den Mauern. Vor dem Gefängnis starten wir mit gemeinsamem Gebet und dann werden wir durchgeführt in einen Raum, in dem wir auf die Frauen treffen. Von den Frauen her kann ich sagen: Das sind oft wirklich schöne Begegnungen, viele freuen sich darauf. Wir singen gemeinsam Lieder, die sie sich wünschen, und durch die Lieder werden viele sehr bewegt. Eine von uns bereitet sich vor auf eine kleine Andacht, einen Input. Wir erzählen, was Gott in unserem Leben getan hat. Und dann bieten wir ein Gespräch an – manchmal mit mehreren Leuten. Wenn wir genug Mitarbeiter sind, können wir 1 zu 1-Gespräche führen. Und das ist immer eine schöne Sache, wenn die Frauen eine Möglichkeit haben, – wenn sie das möchten – ihr Herz auszuschütten.

Kontaktgruppen gibt es nicht nur in der JVA Köln, sondern ebenso in einer Reihe anderer Gefängnisse.

Wir sind in 13 weiteren Gefängnissen unterwegs. Insgesamt haben wir 16 Kontaktgruppen.

Was würdest Du aus Deiner Erfahrung sagen: Welche Voraussetzungen muss man mitbringen, wenn man sich für die Mitarbeit in einer solchen Gruppe interessiert?

Man muss Jesus liebhaben und die Menschen müssen einem wichtig sein. Ich finde es einfach total schön: Ich kann dort hingehen, Menschen von Jesus erzählen und dafür beten, dass Gott ihr Leben verändert. Das sind Menschen, wo ich mich vielleicht im Alltag nicht trauen würde, auf sie zuzugehen. Aber dadurch, dass wir in dem Rahmen der Gruppe sind, ist es eine schöne Möglichkeit, Menschen von Jesus zu erzählen.

Wenn Du jetzt noch mal auf Dein eigenes Leben zurückschaust: Was hat die Mitarbeit hier in der Gefährdetenhilfe für Dich verändert und wie hat sie vielleicht auch Deinen Glauben geprägt?

Ich gehe jetzt viele Jahre mit in die Kontaktgruppe. Es gab Zeiten, wo es mir manchmal schwerfiel, denn man muss aus dem Alltag raus. Aber ich war sehr oft beschenkt dadurch. Wir wollen eigentlich etwas mit hinbringen, aber oft werden wir selbst beschenkt, weil wir sehen, wie Gott wirkt und wie er seinen Segen schenkt. Aber man wird auch herausgefordert. Es entstehen viele tiefgehende Gespräche. Anfang des Jahres war ich mit einer Frau in einem Gespräch, das mich nochmal motiviert hat, die Bibel von Anfang bis Ende zu lesen. Die Frau kam aus einem muslimischen Hintergrund, aber sie sagte: „Komisch, wenn man das eigene Buch lesen will, fällt einem immer irgendetwas anderes ein“. Das fand ich sehr interessant. Also: Man wird herausgefordert, man wird aber ebenso sehr beschenkt und gesegnet.

Vielen Dank, Nelli, für das, was Du uns erzählt hast! Gerne!

Das Interview als Podcast:

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